„Überlegt, clever und mit Stärke und Präsenz": Trainer Christopher Hallmann über Zehnkampf-Europameister Arthur Abele
  21.08.2018 •     BW-Leichtathletik , Top-News BW-Leichtathletik , WLV


Arthur Abele ist Zehnkampf-Europameister! So viele Jahre musste der hochtalentierte, aber immer wieder von Verletzungen ausgebremste Athlet vom SSV Ulm 1846 auf seinen großen Moment warten.

Bei den Heim-Europameisterschaften in Berlin sorgte der 32-Jährige Anfang August mit dem Gewinn der Goldmedaille für eines der Highlights der Titelkämpfe. Seit nunmehr fünf Jahren in guten wie in schlechten Phasen immer an seiner Seite: Trainer Christopher Hallmann. Im Interview blickt er auf den EM-Zehnkampf zurück, in dem gleich zwei seiner Schützlinge eine tragende Rolle spielten.


Christopher Hallmann, vor rund zwei Wochen wurde auf dem Berliner Breitscheidplatz für Arthur Abele die Nationalhymne gespielt. Es war auch für Sie als Trainer die erste internationale Goldmedaille. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?

Christopher Hallmann:

Die Emotionen sind übergekocht. Mir sind schwierige Situationen durch den Kopf geschossen. Ich habe mir den Zehnkampf im Zeitraffer noch mal in Erinnerung gerufen - das war emotional auch für mich etwas ganz Besonderes.

Hand aufs Herz: Als wie realistisch hätten Sie diesen Erfolg noch zu Beginn des Jahres 2018 eingeschätzt?

Christopher Hallmann:

Zu Beginn des Jahres hatte Arthur mit vielen Verletzungen und Krankheiten zu kämpfen. Eine zielgerichtete Vorbereitung war da gar nicht möglich. Der jetzige Erfolg war nicht abzusehen. Dass Arthur das Potenzial hat, internationale Medaillen, vielleicht sogar Gold, zu gewinnen, das haben wir in seinem ganz engen Umfeld immer wieder so eingeschätzt. Das kontinuierliche Training dafür konnte am Anfang des Jahres aber nicht stattfinden, das hat sicher erst einmal nicht in seine Karten gespielt.

Wie haben Sie es geschafft, dass Arthur Abele in Berlin dennoch in Topform antreten konnte? Welches Team steckt dahinter?

Christopher Hallmann:

Im engsten Team sehe ich unsere medizinische Abteilung und mich. Unseren Physiotherapeuten Tim Gulde und Prof. Dr. Benedikt Friemert vom Bundeswehr-Krankenhaus in Ulm. Wir haben nach Rückschlägen immer versucht, so schnell wie möglich Wege des alternativen Trainings zu finden. Und als dann Rico Freimuth in Götzis ausgestiegen ist und auch Kai Kazmirek [Anm.: Zweiter und Dritter der letztjährigen Weltmeisterschaften] keine Topform hatte, hat Arthur seine Chance gewittert, vorne dabei zu sein. Und dann hat er zugeschlagen.

Arthur Abele ist nicht der Einzige, der von dieser Team-Arbeit profitieren konnte. Mit Mathias Brugger hat sich ein weiterer Ulmer Zehnkämpfer für die EM qualifiziert. Ein gutes Ergebnis war für ihn aber schon früh nach drei ungültigen Versuchen im Weitsprung außer Reichweite. Was war da los?

Christopher Hallmann:

Auch der Weg von Mathias war nicht einfach. Er hatte sich im vergangenen Jahr bei der WM schwer verletzt, auch seine Vorbereitung war von vielen Schwierigkeiten geprägt. Die Verletzung am Knie war sehr langwierig, zudem hat er ein Studium begonnen. Dass er sich qualifiziert hat, ist sehr hoch einzuschätzen - umso mehr tut es mir für ihn leid, dass er sich in Berlin nicht so präsentieren konnte, wie er es verdient hätte. Er war schon über 100 Meter ein bisschen fest, konnte nicht so frei laufen wie bei der Qualifikation. Und im Weitsprung war es dann eine Mischung aus Übermotivation und fehlender Handlungsfähigkeit. Er konnte seinen Fehler im Anlauf einfach nicht abstellen.

Wie ist ein solcher Moment als Trainer? Der eine Athlet schießt sich selbst aus dem Rennen um die Medaillen. Der andere Athlet ist auf einmal nach dem Weitsprung Goldkandidat, weil der große Favorit Kevin Mayer aus Frankreich ebenfalls dreimal übertritt...

Christopher Hallmann:

Schwarz und Weiß. Ein größerer Kontrast ist schwer vorstellbar. Meine Gedanken waren in dem Moment aber doch eher bei Mathias Brugger. Das war Frust, Ärger, negative Emotionen... Das Rennen um Gold von Arthur hat da zwar angefangen, die Medaille war aber doch noch in weiter Ferne, es folgten ja noch acht Disziplinen.

Mathias Brugger hat trotz dieser Enttäuschung noch vier weitere Disziplinen bestritten. Warum?

Christopher Hallmann:

Er hatte mit Sicherheit das Gefühl, noch etwas schuldig zu sein. Den Fans, die dort waren. Und seinem Trainingspartner Arthur. Ihm wollte er im Stadion beistehen. Man kann da unten selbst bei 50.000, 60.000 Zuschauern ganz schön alleine sein. Mathias und Arthur sind im Trainingslager vorher sehr eng zusammengerückt. Mathias wollte Arthur unterstützen. Und natürlich auch den dritten Deutschen Niklas Kaul, der als Vierter bei seinen ersten großen Meisterschaften einen tollen Wettkampf gemacht hat.

Es wird deutlich: Zwei Tage Zehnkampf, das sind zwei Tage geprägt von Höhen und Tiefen und zahlreichen Emotionen. Was ist bei Ihnen vom EM-Zehnkampf besonders hängengeblieben?

Christopher Hallmann:

Die Stärke und die Präsenz von Arthur. Er war immer handlungsfähig - selbst im Stabhochsprung, wo er einfach mit der Anlage nicht so gut klarkam. Er hat immer eine Idee von jeder Disziplin gehabt, wusste, wie er handeln und wie er ansteuern muss. Das war aus meiner Sicht echt stark, das habe ich bei Arthur besonders in früheren Jahren schon ganz anders erlebt. Er hat mit vielleicht zwei, drei Prozent weniger, aber ganz überlegt und clever diesen Zehnkampf absolviert. Das war die Fortführung seines Auftritts beim Mehrkampf-Meeting in Ratingen ...

... wo sich Arthur Abele als Sieger für die EM qualifizieren konnte. Mit Manuel Eitel und Tim Nowak haben dort zwei weitere junge Ulmer Zehnkämpfer mit 8.100- und 8.000-Punkte-Resultaten überzeugt. Wie sehen Sie insgesamt die Zukunft des Mehrkampf-Stützpunkts Ulm?

Christopher Hallmann:

Sehr positiv! Die Leistungskurve aller Ulmer Zehnkämpfer hat in diesem Jahr nach oben gezeigt, fast alle haben Bestleistung gemacht. Dazu haben wir mit Manuel und Tim zwei neue Mitglieder im Kreis der 8.000-Punkte-Zehnkämpfer. Alle sind bisher unverletzt aus der Saison gekommen, die Zeichen stehen auf Grün und voll auf Angriff! Wir wollen im nächsten Jahr und natürlich auch im Olympia-Jahr 2020 Deutschland und der Welt zeigen, was wir draufhaben!


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